Ich bin ein Dorfkind. Naja, eigentlich nicht wirklich. Ein Dorf hat für mich 2000 Einwohner und nur einen einzigen Tante Emma Laden. Meine Heimatstadt hat fast 40.000 Einwohner. Dorfleben sieht anders aus. Trotzdem sieht mich jeder Kölner schräg an, wenn ich erzähle, dass ich aus einer Kleinstadt komme, in der die Busse nur zwei Mal in der Stunde fahren. Für Großstadtkinder ist alles unter 500.000 Einwohner ein Dorf. Da, wo die Kühe noch lila sind und Handyempfang ein Fremdwort ist. In meiner Heimatstadt kennt jeder jeden und jeder hat etwas über den anderen zu sagen. Meistens natürlich hinter deren Rücken. Aber das ist okay. Was mich früher so gestört hat, nehme ich heute mit einer Gelassenheit hin, die mich manchmal selbst erstaunt.
Für mich war nach dem Abitur immer klar: Raus hier! Ich habe es gehasst. Wollte meine Eltern immer überreden in die Großstadt zu ziehen – leider ohne Erfolg.Als ich ganz frisch in Köln war, war ich wie erschlagen. So viele Eindrücke, so viele Menschen, so viele coole Cafés, Bar und Läden. Ich war so begeistert und überfordert, dass ich mir ein Notizheft zugelegt hatte, in dem ich alle Orte aufgeschrieben hatte, die ich sehen wollte. An was es in meiner Heimatstadt mangelte, gab es in der Großstadt im Überfluss. Ich habe damals keine Sekunde gezögert, bin nach Köln gezogen und habe die ersten Wochen bei einer Fremden auf einer Couch in Ehrenfeld gelebt, weil der Kölner Wohnungsmarkt damals schon eine Katastrophe war. Keine Sekunde hab ichs bereut und wenn ich zurückdenke, hab ich großen Respekt vor mir selbst das so durchgezogen zu haben. Natürlich hätte ich es einfacher haben können. Ich hatte Unizusagen von Trier, Mainz und Saarbrücken – genau die Städte, in denen ich wahrscheinlich an jeder Ecke jemandem aus meiner Heimatstadt über den Weg gelaufen wäre.
In Köln kannte ich niemanden. Aber genau das wollte ich.
Seitdem ich der Heimat den Rücken gekehrt habe, hat sich meine Einstellung zu ihr komplett verändert. Ich komme gerne nach Hause. Was ich früher gehasst habe, liebe ich jetzt. Die Anonymität der Großstadt kennt hier keiner. Meistens sehe ich schon am Bahnhof jemanden, den ich kenne. Oder spätestens auf den 2km bis zu meiner Mutter. Dorffeste sind wie kleine Familienfeste, man sieht sie alle: Die Lieblingscousinen, aber auch die nervigen Tanten. Und hier und da bekommt man einen Schmatzer aufgedrückt.
Ich bin so froh, wählen zu können. Meistens hab ich nach einer Woche auch schon wieder genug von der Heimatidylle und freue mich auf die Großstadt. Auf die Möglichkeiten, die ich Zuhause einfach nicht habe. Ich mag beides. Trotzdem wäre es für mich niemals in Frage gekommen, im nähren Umkreis zu studieren oder nach meinem Studium wieder in die Heimat zu ziehen. Aber so geht es nicht jedem. Einige meiner Freunde und ehemalige Schulkameraden sind in meiner Heimatstadt geblieben. Generell haben sich viele aus meiner Generation dazu entschlossen in ihrer Comfortzone zu bleiben. Und sind glücklich. Manchmal denke ich mir: “Wirklich? Ist das alles was ihr wollt? Es gibt noch so viel mehr.” Aber dann fällt mir ein, dass nicht jeder weg möchte. Nicht jeder braucht die Großstadt und nicht jeder ist dafür gemacht. Es macht mich nicht zu etwas besonderem, nur weil ich in einer Millionenstadt lebe. Ich kann mir nichts darauf einbilden, dass ich Bahnfahren oder laufen muss, anstatt gemütlich mit dem Auto zu fahren. Oder dass es bei mir um die Ecke 3983929 Bars gibt, in denen eine Weinschorle 7€ kostet. Für das Geld würde ich in meiner Heimat drei bekommen…
Ich bin sehr heimatverbunden und ich liebe meine Heimat. Aber ich bin auch jemand, der niemals in einem Ort bleiben könnte, in dem die Zeit still steht. Egal ob ich 2 Wochen oder 3 Monate nicht Zuhause war: Es bleibt immer gleich. Und trotzdem bin ich meinen Eltern im Nachhinein dankbar, dass sie mich in meiner kleinen Stadt haben versauern lassen, denn ich hatte mit Abstand die beste Kindheit. Ich würde niemals eine Familie in der Großstadt gründen wollen. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich Mütter mit Kinderwagen und Kind 2 an der Hand in der Bahn sehe. Oder wenn die kleinen Jungs im Sommer Fußball auf dem Neumarkt spielen, zwischen komischen Gestalten, Bahn- und Busverkehr.
Wenn Dorfkinder im Wald spielen, Kreidehäuser auf die Straße malen und ihren ersten Rausch mit 15 seelenruhig im Feld ausschlafen – dann bin ich sehr gerne ein Dorfkind.
© Fotos: Harald Kröher
Michelle says
Hallo liebe Jana,
View CommentSehr schöner Blogpost und ich muss dir sagen ich fühle genau wie du. Ich komme auch aus der Ecke Kaiserslautern und bin für ein Praktikum nach Hamburg gezogen weil ich endlich mal raus hier wollte. Seit dem weiß ich meine Heimat und vor allem die Landschaft und den Wald viel mehr zu schätzen. Es ist irgendwie ein tolles Gefühl nach Hause zu kommen, aber nach einiger Zeit zieht es mich immer wieder weg. Trotzdem bleibe ich im Herzen ein Pfälzer Mädchen und das liebe ich auch.
Liebe Grüße,
Michelle
maedchenhaft says
Danke dir! Ach was, ja Pfälzer bleiben immer Pfälzer hehe. So gehts mir wirklich auch jedes Mal 🙂
View CommentTetyana says
Liebe Jana, das ist wirklich ein sehr toller Beitrag und ich konnte mich in deinen Gedanken wahnsinnig gut wiedererkennen. Ich persönlich habe ein 3.000 Seelen-DORF! gegen Paris eingetauscht und fühle mich nach wie vor ein bisschen hin und her-gerissen zwischen den beiden so furchtbar gegensätzlichen Welten.
Meiner Heimat kann ich nun auch endlich etwas mehr abgewinnen, aber länger als zwei Wochen könnte ich dort auch nicht mehr bleiben 😀
Liebste Grüße!
View Commentmaedchenhaft says
Oh krass – Paris! Da bin ich aber neidisch 🙂 Aber schön, dass es nicht nur mir so geht <3
View CommentLeni says
sehr schön geschrieben, mein Schatz.
View CommentIch, als ebenfalls Dorfkind, kann das seeeeehr gut nachvollziehen. Du musst mal mit mir zu meiner Mum fahren, wenn du hier bist. ♥ love you!
Sarah says
Liebe Jana,
View CommentIch folge dir schon eine Weile auf Instagram, habe mir aber erst jetzt deinen Blog angesehen. Normalerweise lese ich still, auch wenn ich mich mit einem Blogpost gut identifizieren kann.
Nachdem ich diesen hier gelesen habe kam es mir vor als würdest du meine Gedanken niederschreiben. Viele meiner Freunde bleiben im Dorf oder der angliedernden Kleinstadt. Ich habe mir immer gedacht, wie können sie das nur wollen? es gibt tausend tolle Dinge da draußen zu entdecken! und ihr bleibt hier, müsst zum Shoppen 50km weit fahren und auch zum nächsten Flughafen sind 2h fahrt normal. Wieso will man so etwas mit 23?
Es ist mir immer richtig richtig schwer gefallen zu akzeptieren, dass manche Menschen nicht mehr von Leben erwarten und auch nicht brauchen um glücklich sein.
Deine Worte machen es mir nochmal leichter so etwas zu verstehen.
Dein Blog ist wunderbar!
Liebe Grüße!
maedchenhaft says
Hey Sarah, Vielen vielen Dank für deine lieben Worte, sowas hört man so gerne. Ja ich tue mir damit manchmal auch noch sehr schwer…weil das für mich soooo unvorstellbar ist! Manchmal denke ich mir, ich wäre gerne so, dass mir meine Heimat genügen würde. Wäre auf jeden Fall unkomplizierter. Aber ich liebe das Großstadtleben und liebe es aus, immer wieder neue Städte zu entdecken <3
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